Kurzstudie: Kohleausstieg 2030 unter neuen Vorzeichen
In den kommenden Jahren dürfte der Gaspreis deutlich oberhalb der historischen Werte liegen, wenn Europa sich von Russland unabhängig aufstellt. Diese Entwicklung erfordert eine Neubewertung der deutschen Energiepolitik, unter anderem für die Energiewende im Stromsektor. Um eine Bewertung der Situation zu erleichtern, stellt eine neue Kurzstudie mögliche mittelfristige Entwicklungen für Deutschland im europäischen Kontext vor und vergleicht diese mit dem Szenario, das vor dem Krieg zu erwarten gewesen wäre.
Es zeigt sich, dass höhere Importpreise für Gas zu einem deutlich geringeren Anreiz zum Zubau von Gaskraftwerken führen. Die Stromnachfrage müsste daher – sofern nicht zeitnah politisch anders entschieden wird – auch über das Jahr 2030 hinaus noch in größerem Umfang von Braun- und Steinkohlekraftwerken gedeckt werden, die sowohl in Deutschland, als auch in den Nachbarländern in geringerem Umfang zurückgebaut würden. Je höher der zukünftig erwartete Gaspreis, desto stärker ist dieser Effekt. Werden in Deutschland weniger Gaskraftwerke zugebaut, so besteht mit dem Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken weiterhin eine regionale Ungleichverteilung der konventionellen Kraftwerkskapazität. Strukturelle Nord-Süd-Netzengpässe innerhalb Deutschlands dürften daher bei einem starken Ausbau der Windkraft trotz des Netzausbaus weiterhin bestehen bleiben und müssten adressiert werden. Das Strompreisniveau würde im Vergleich zu den Erwartungen, die vor dem Krieg bestanden, kräftig ansteigen.
Unter diesen Rahmenbedingungen muss neu bewertet werden, ob ein Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 angestrebt werden sollte. Eine entsprechende Szenariorechnung zeigt, dass ein kompletter Kohleausstieg bis 2030 auch unter den neuen Rahmenbedingungen realisierbar wäre und die Marktpreise nicht signifikant erhöhen dürfte. Allerdings müsste dies zeitnah entschieden werden, da umfangreich Gaskraftwerke zugebaut werden müssten. Aufgrund der regionalen Konzentration von bestehenden Erzeugungskapazitäten sollten zudem Maßnahmen ergriffen werden, die einen Zubau in Nähe der Verbrauchszentren anreizen, insbesondere im Süden. Mit Blick auf den durch hohe Gaspreise schneller zu erwartenden Umstieg der Kraftwerke auf klimaneutralen Wasserstoff müssten Erzeugungstechnologien forciert zugebaut werden, die neben Erdgas auch mit Wasserstoff betrieben werden können oder mit geringem Aufwand umrüstbar sind. Außerdem muss der Ausbau der entsprechenden Infrastruktur für Wasserstoff von Beginn an mitgedacht und priorisiert werden.
Link zur Veröffentlichung im Wirtschaftsdienst
Autoren: Jonas Egerer, Veronika Grimm, Lukas M. Lang, Ulrike Pfefferer